Kematen an der Ybbs | Mostviertler Feldversuche - Blüte, Biene, Blunzn

Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, muss der Berg eben zum Propheten kommen. Allzu oft wird nämlich das, was unmittelbar in der eigenen Umgebung passiert, anfangs nicht so wahrgenommen und wertgeschätzt. Seit Jahren gibt es im Mostviertel umtriebige und visionäre Produzenten und Köche, die erst durch überregionale Medien oder (inter)nationale Prämierungen regional bemerkt werden. Die Kunst dabei ist die, sich zum einen wieder des Alten und Bewährten zu besinnen, neuartiges auszuprobieren und nach einigen Experimenten daraus Neues entstehen zu lassen. Dies ist das Erfolgsgeheimnis eines kulinarischen Experiments mit Tiefgang.

So brachte diesmal Projektleiterin Gudrun Vösenhuber den Koch Stefan Bachler und Maria Bachler vom Bachlerhof in Abetzdorf bei Kematen/Ybbs und den Patissier Thomas Naderer und Julia Naderer von der gleichnamigen Patisserie in Amstetten zusammen. Beide verbindet die Liebe zur Region und deren unglaublicher Produktvielfalt gepaart mit der Neugier neue Wege zu bestreiten. Aus Leidenschaft wird Raffinesse und gemeinsam stellten sie sich so manchem Wagnis. Augenscheinlich wird wohl keine/r Blunzn und Grammeln mit Schokolade oder Powidl in Verbindung bringen. Kaum eine/r wird wohl wochenlang mit Sonnenblumen herumdoktern, um die allerfeinsten Geschmacksnuancen aus Herz, Blumenkopf, Blüte und Kern zu entdecken und zu veredeln. Ebenso wird wohl kaum eine/r Sudeinsätze derart oft reduzieren, dass eine feine Hollandaise mit Holunder herauskommt. Die beiden waren sich für nichts zu schade und ihnen war auch nichts zu blöd. Keinesfalls fehlen durfte das überlieferte Rezept einer g’scheiten Blunzn, die auch roh verkostet werden konnten und alle später vakuumiert mit nach Hause nehmen konnten. Zu ihrer Experimentierfreudigkeit dazu gesellt haben sich Produzenten aus der Region, die für dieselbe Sache brennen. So z.B. ist Sigrid Hagen aus Winklarn nicht nur Kräuterexpertin, Imkerin oder Kochbuch-Autorin, sondern auch Gemüsebäuerin. Sie reizen außergewöhnliche Sorten, die mancherlei schon in Vergessenheit geraten sind. Die Tomatillos, eine Pflanzenart der Gattung Blasenkirschen, sind angenehm süß-säuerlich und sorgen für wohl-be-hagen. Oder Johannes und Annemarie Wurstbauer aus Wolfsbach, deren Herz für die Essig-Liebelei schlägt, was wiederum als Basis für Shrubs und Oxymel dient. Oder Bernadette und Peter Haselberger aus St. Valentin, die nicht einfach nur Most pressen wollten, sondern sich auch auf natürlich perlende Schaumweine spezialisiert haben, deren Perlage (also die Kohlensäurebläschen) das Ergebnis einer Flaschengärung ist. Daher kommt auch der Name Pet Nat (= Pétillant Naturel), deren Aromen ebenso vielfältig sind, wie das facettenreiche Mostviertel selbst. Leider ob der Ernte persönlich verhindert, doch mit ihren edlen Weinen aus dem Traisental präsent war die Winzerin Viktoria Preiss, die auch mit kräftigen Apfel- und Dirndl-Fruchtsäften bei den Gästen punktete. 

Nach dem Aperitif im Bachlerhof ging’s mit Seniorchef Hans aufs Feld, wo glückliche Schweine und Hühner gehegt und gepflegt werden. In den gemütlichen Stuben zurückgekommen stand langen Genussmomenten nichts mehr im Wege. Das wohl einzigartige und wahrlich außergewöhnliche Menü war nun also: Saibling, Sonnenblume, Pollen | Zucchini, Pilz, Blunzn, Holler | Blunzn, Tomatillo, Powidl | Schwein, Artischocke, Honig | Schokolade, Grammeln, Oxymel. Zum Ausklang gab’s Disco in der Küche mit Petit Fours. 

Danke an Franz Weingartner - www.weinfranz.at - für die Fotos. 

Die nächsten Termine sind "Ein Feldversuch im historischen Schloss Rothschild" mit Schlosswirt Andreas Plappert am 6.10.2023 und "Feldversuche unter Birnenbäumen und freiem Himmel" am 22.6.2024 mit Doris Farthofer von der gleichnamigen Destillerie und Theresia Palmetzhofer vom Gasthaus zur Palme. Weitere Infos unter www.feldversuche.at.

Didi Rath